05.07.2022

Knapp 40 Jahre arbeitet Thomas Weinreich bei der Firma Werner Bauser in Wehingen. Darauf ist er stolz, denn beinahe wäre alles schief gegangen. Geschäftsführer Michael Bauser spricht von einem „durch und durch ehrlichen Menschen, der viele Tiefen durchlebte. Thomas ist abgerutscht, hat getrunken und das wirkte sich dann auch auf die Firma aus.“  Heute ist Thomas Weinreich Teamleiter, kümmert sich um Serviceteile und gilt als erfolgreicher Mitarbeiter, der die Technologie im Unternehmen für Werkzeugbau beherrscht.  Außerdem benannte ihn Bauser zum betrieblichen Suchtberater. Eine Aufgabe, die er mit Leidenschaft übernommen hat, denn schließlich weiß er aus eigener Erfahrung, „dass ein Alkoholiker nicht wahrhaben will, Probleme zu haben“.

 

Bereits mit 15 Jahren startete Weinreichs Suchtkarriere, besonders heftig wurde die Zeit bei der Bundeswehr und Wochenenden, die er alleine mit Kollegen verbrachte: „Da ging es rund und da wurde gesoffen und geraucht“. Gemeinsam mit seiner Ehefrau Karin baute er deren Elternhaus um, gründete eine Familie und freute sich an den gemeinsamen Zwillingsmädchen. Alkohol spielte immer wieder eine heftige Rolle, bis er nach heftigen Trinkphasen keinen Appetit mehr hatte. Ab dieser Zeitphase folgten immer wieder Klinikaufenthalte: Nach der ersten Entgiftung 2007 trank er ein halbes Jahr nichts, aber der Stress mit einem Vorgesetzten ging ihm an die Nerven und sorgte für Angstzustände, die er nur mit Alkohol beruhigen konnte. Eine zweite Entgiftung folgte als die Töchter sechs Jahre waren. Wieder schaffte es Weinreich danach, drei Monate trocken zu bleiben und startete dann, wie er meinte, mit kontrolliertem Trinken. „Das funktionierte 43 Monate mit Krankschreibungen und Urlaub“, erzählt er. Die Folge: Eine dritte Entgiftung mit Ablehnung einer Therapie, um den Job nicht zu verlieren. Doch am Arbeitsplatz ging die Auseinandersetzung mit dem Vorgesetzten wieder los und während eines Urlaubs kam es zum absolut maßlosen Alkoholexzess. Durch Druck seines Chefs wurde dieser beendet.
Nach einer vierten Entgiftung entschied sich Weinreich in Absprache mit seinem Arbeitgeber für eine Kombi-Therapie: Sechs Wochen Kurzzeit, dann ambulant ein Jahr Therapie in der Beratungsstelle.

Mein jetziger Vorgesetzter, mein Team und Herr Bauser gaben mir jede Unterstützung. Das freut mich heute noch.

Die Freundeskreise für Suchtkrankenhilfe hätten ihm zu einem anderen Leben verholfen und der Austausch mit Menschen, die Gleiches erlebt haben, sei eine wertvolle Unterstützung. Auch das Problem mit dem Vorgesetzten ist gelöst: „Ich konnte mich wehren, habe die Sache beim Betriebsleiter thematisiert und heute ist das geregelt. Ein Outdoorseminar bei den Freundeskreisen hat Weinreich zudem motiviert, mit seiner Familie immer wieder aktiv in den Bergen unterwegs zu sein.

In der Firma organisierte er eine Veranstaltung mit der Suchtberatungsstelle Tuttlingen, bei der alle Abteilungsleiter teilnahmen. „Dabei habe ich mich als trockener Alkoholiker vorgestellt und Michael Bauser war begeistert, dass ich so offen war“, berichtet er. Daraus entwickelte sich die Position eines betrieblichen Suchtberaters. Bis heute hat er zwei Kollegen von der Entgiftung bis zur Therapie begleitet und andere beraten. „Abrutschen kann jeder und Grauzonen gibt es überall, aber es ist doch gut, wenn man eine Wendung hinbekommt“, sagt Michael Bauser. Weinreichs Einsatz als Suchthelfer bezeichnet er als wertvoll, denn „ein solcher Ansprechpartner ist für Betroffene doch vertrauensvoller, als wenn der Chef käme."

Bei den Freundeskreisen belegte Thomas Weinreich nach einem Jahr Abstinenz ein Seminar zum Einstieg in die Gruppenmitarbeit. Rückblickend bezeichnet er dieses als "Karrierestart" bei den Freundeskreisen. Nach weiteren Erfahrungen und Seminaren folgte seine zweieinhalbjährige Ausbildung zum Suchtkrankenhelfer. Mittlerweile lebt Weinreich seit 10 Jahren glücklich abstinent. Die Freundeskreise hätten ihn zu einem anderen Leben verholfen und der Austausch mit Menschen, die Gleiches erlebt haben, sei eine wertvolle Unterstützung.